Nein – ich muss mich korrigieren. Lange dachte ich, dass die sozialen Medien an der zunehmenden Vereinsamung vieler Menschen schuld sind. Es schien mit völlig klar und unumstößlich gewiss, dass die stundenlange Nutzung sozialer Medien Menschen aller Altersstufen zu sozialen Krüppeln machen würde. Machen musste.
Unfähig, gute soziale Beziehungen einzugehen?
Denn schließlich, da war ich mir sicher, kann man nur in der Begegnung von Mensch zu Mensch lernen und erfahren, wie eine gute soziale Beziehung eingegangen und gepflegt werden kann. Sich auf den anderen einzulassen, zuhören zu können, andere Meinungen gelten zu lassen und auch mal fünfe grade lassen zu sein – alles Fähigkeiten, die geübt werden müssen. Wie sollte das ohne ein reales Gegenüber möglich sein?
Vielleicht war es die nahende Weisheit des Alters, die meinen Blick schärfte. Vielleicht war es auch einfach Corona und schlichte Notwendigkeit, mich mit etwas auseinanderzusetzten, was ich jahrzehntelang entschieden abgelehnt habe.
Facebook – Empathie online?
Ich habe erlebt, dass das geht. Nie hätte ich es früher für möglich gehalten, dass Kommentare in einer Facebook-Gruppe mich zu Tränen rühren. Und zwar, weil sie so schön sind, so einfühlsam sind, so verständnisvoll. Von Menschen, die ich nicht kannte. Die mich nicht kannten. Und die ich niemals im Leben treffen würde.
Aber ich habe auch die Kehrseite gesehen: Kommentare, die unpassend, manchmal sogar verletzend oder schlicht dumm waren. Und auch diese Kommentare hinterließen bei der Person, die etwas von sich preis gegeben hatte, einen tiefen und zweifellos nachhaltigen Eindruck.
Die Welt bei mir zu Hause
Die sozialen Medien verbinden uns mit der Welt. Ich habe Freude, die über den ganzen Globus verstreut leben. Ohne das Internet wäre der Kontakt deutlich schwieriger, vermutlich würde er bald einschlafen. Mit Unterstützung von Facebook, Linked in und anderen Tools werden wir an Geburtstage erinnert, sehen schlaglichtmäßig Szenen aus dem Leben der Menschen und können in kürzester Zeit in Verbindung treten, wenn uns danach ist.
Dennoch sind sie ein Ersatz. Ein Filter. Besonders deutlich wird dies nach langen Zoom-Konferenzen. Ein Barriere, die zwischen mir und den Menschen, die mir wichtig sind, steht. Ich bin davon überzeugt, dass ein langfristiger guter Kontakt nur möglich ist, wenn von Zeit zu Zeit ein reales Treffen in der realen Welt möglich wird.
Kontakte über die sozialen Medien können Gefühle von Einsamkeit und Abgeschnitten sein mindern. Und das ist gut so. Aber die Kontakte sollten genutzt werden, um ein echtes Treffen möglich zu machen.
Realer Kontakt ist durch die Nutzung von sozialen Medien nicht zu ersetzen
Facebook und seine Kollegen sind gut für gewisse Stunden. Für Zeiten, in denen Austausch, Unterhaltung und Zerstreuung gewünscht oder Informationen benötigt werden.
Wenn sie jedoch über einen längeren Zeitraum genutzt werden, um einem Gefühl der Einsamkeit zu entfliehen, verkehrt sich der positive Effekt in sein Gegenteil. Das Gefühl der Einsamkeit gehört zu den aversiven Gefühlen. Das sind Gefühle, die wir loswerden wollen. Die gesunde Reaktion um das Gefühl los zu werden, ist es nun, sich Menschen zu suchen und mit ihnen Zeit zu verbringen. Allerdings ist das manchmal nicht so einfach. Was, wenn ich hunderte von Kilometern von meiner Familie entfernt wohne? Oder von meinen Freunden niemand in der Nähe wohnt und keine Zeit hat? Was, wenn ich vielleicht kaum Freunde habe oder mich nicht traue, sie anzurufen? Was, wenn es draußen regnet und stürmt und die Frisur mal wieder total daneben ist?
Fünf Tipps für einen gesunden Mediengebrauch
- Nimm Dir vor, dass Du für jede Stunde in den sozialen Medien eine Person direkt anrufst.
- Triff Dich mindestens 1x/Woche mit einer andern Person um mit dieser zwei Stunden spazieren zu gehen.
- Überlege Dir vorher, was Du heute im Internet tun willst. (Wenn Du Dir z.B. eine Stunde surfen genehmigst, ist das o.k. Probiere aus, ob Du nach einer Stunde wirklich ausschalten kannst.)
- Lege fest, wann Du den Rechner herunterfahren wirst.
- Schließe Deine Computerzeit mit einem schönen persönlichen Kontakt. z.B. lege Dir einen Ordner an, in dem Du Mails speicherst, die Dir besonders gefallen.