..ohne dass die Freundschaft vorher Zeit hatte, zu wachsen.
It is not possible to have friends without first making friends.
Jeffrey A. Hall, Universitiy of Kansas, USA
Dass es richtig toll ist, Freunde zu haben, weiß Du spätestens dann, wenn Du umziehen willst, oder eine bestandene Prüfung feiern möchtest oder Trost in Liebesdingen brauchst. Was aber, wenn Du gerade in eine neue Stadt gezogen bist? Oder der Freundeskreis mit Deinem Ex verschwunden ist? Oder die Weltansichten sich so sehr unterscheiden, dass keine gemeinsame Gesprächsbasis mehr zu finden ist? Spätestens dann wird es Zeit, sich auf die Socken zu machen und neue Freunde zu suchen. Und viele stellen dann fest: Das ist ja gar nicht so einfach.
Nun kann es sein, dass Du einen interessanten Menschen triffst. Früher hättest Du vielleicht gefragt: „Magst du mein Freund sein?“ Doch es gehört zum Drama des Erwachsenwerdens, dass wir ein zunehmendes Verständnis für die Komplexität vieler Dinge entwickeln. Und diese dadurch dann ihre Leichtigkeit verlieren. Wir ahnen intuitiv, dass eine Antwort auf diese Frage niemals eine glaubhafte Aussage auf die vielen Erwartungen sein kann, die wir mit Freundschaft verbinden.
200 Stunden um beste Freunde zu werden
Wir können Freundschaften nicht einfach beschließen. Aber wie funktioniert es dann? Wie entstehen Freundschaften überhaupt? Wann wird eine Bekannte zur Freundin und was macht beste Freunde aus? Das sind interessante Fragen, die sich auch der Nobelpreisträger und Genetiker Jeffrey A. Hall gestellt hat. In einer Studie mit 355 Personen fand er heraus, dass es mindestens 50 gemeinsame Stunden braucht, um sich vom Bekannten zum Freund zu entwickeln.Weitere 90 Stunden sind nötig, um sich von einem Freund zu einem guten Freund zu entwickeln und ganze 200 Stunden Beisammenseins sind nötig, um beste Freunde zu werden.
Nüchtern berechnet bedeutet dies folgendes: Wenn Du Freundschaften aufbauen möchtest, dann suche Dir einen Kreis von Menschen, mit denen Du Dich grundsätzich wohl fühlst und mit denen Du ähnliche Werte teilst. Triff diese Menschen 1x/Monat für 2 Stunden. Mache dies 8 Jahre lang. Wenn Du nun noch bedenkst, dass Menschen wegziehen, man gelegentlich doch mehr Unstimmigkeiten entdeckt als ursprünglich vermutet und uns nicht zuletzt ja auch manchmal ein Todesfall einen Strich durch die Rechnung macht, dann wird der Kreis der besonderen Menschen dennoch überschaubar sein.
Ich empfehle daher frühzeitig, am besten ab dem 40. Lebensjahr mit dem Aufbau eines Freundesnetzwerkes zu beginnen. So hast Du Zeit, viele schöne gemeinsame Stunden zu genießen und kann entspannt dem Wachsen und Werden von Freundschaften zusehen und Dich daran freuen.
Wichtigstes Ergebnis der Studie: Die real gemeinsam verbrachte Zeit ist entscheidend. Online-Chats oder E-Mail haben nur wenig Einfluss.
Die Zahlen zeigen deutlich, dass sich Offline-Freundschaften von Online-Freundschaften, wie wir sie von sozialen Plattformen, wie z.B. facebook kennen, erheblich unterscheiden. Es können durchaus auch hier Freundschaften ihren Anfang nehmen. Und in einem geschützten Rahmen sind empathische und verständnisvolle Kommentare möglich und hilfreich. Aber damit eine echte und tragfähige Freundschaft entstehen kann braucht es einen vertrauensvollen Austausch und Raum für das Miteinander.
Wir brauchen Vertrauen, um miteinander vertraut zu werden. Dazu ist es unvermeidbar, dass ich mich öffne. Dass ich von mir erzähle, von dem was mich beschäftigt, was mir wichtig ist und auch, was misslungen ist. Damit stellt jede Freundschaft am Anfang auch ein Risiko dar, denn ich mache mich verletzbar. Was, wenn der andere mein Vertrauen missbraucht? Was, wenn sie darüber lacht oder persönliche Gefühle oder Geheimnisse nicht für sich behält?
Und doch ist das eine der Hürden, die wir auf dem Weg zu einer Freundschaft nehmen müssen. Freundschaft lebt und wächst mit dem Erzählen. Zunächst dem Erzählen von Geschichten aus dem eigenen Leben. Später verbinden Erzählungen von gemeinsamen Erlebnissen und gemeinsam gemeisterten Herausforderungen.
Freundschaften gehören zu den wichtigsten Dingen in unserm Leben. Meist wird ihre Bedeutung erkannt, wenn sie nicht mehr vorhanden sind. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen die Ursprungsfamilien immer kleiner werden und eine hohe berufliche Mobilität erwartet wird, gewinnen sie enorm an Bedeutung. Aber man kann sie nicht kaufen oder anderweitig erwerben. Sie brauchen Zeit, Raum und Pflege, um zu wachsen. Nur so könnten sie irgendwann den Stürmen des Lebens trotzen und den Freundinnen und Freunden Schutz bieten.